
Karma Yoga - Orleans
“Arbeit ist für uns der einzige Weg vom Traum zur Wirklichkeit.
Nicht nur dass jeder Mensch wissen sollte was er tut, er sollte nach Möglichkeit auch erkennen, wie es sich auswirkt, dass nämlich die Natur durch ihn verändert wird. Die eigene Arbeit sollte für jeden Gegenstand der Kontemplation sein.”
- Simone Weil
Vielleicht lag es auch an seinem körperlichen Befinden, dass Krankheitsbedingt schwere Schlieren in seinen Augen hinterließ und er versuchte sich durch Zucker von diesem leidigen Zustand für einen Moment zu befreien, wohingegen der Magen vollgestopft mit Keksen und anderem bab Süßem Kram ihn noch klebriger an diesen heillosen Zustand band. Dieser Dienstag war vielleicht doch nicht so normal. Doch für ihn wurde das Gefühl über die Jahre, in denen er die Furche des Glücks verpasste, eben doch ein ganz normaler Dienstag, dem er jetzt mit einem Sprung, einer entschlossenen Geste, einer luftdichten Tüte entkommen wollte. Es gab da noch die anderen Formen, wie er ausmalte, sich umzubringen, mehr Kekse, Sexfilme, die absolute und schleichend kommende Degradation seines Subjekts.
Doch über die Jahre wurde ihm bewusst, dass diese Formen der Gewalt keine absolute Ruhe besaßen, sondern nur kleine Tode des Moments waren. Worin lag die Ruhe, nach der er sich sehnte? Wenn es die Momente der Freude wären, die sich zwischen dem eigenen Leid, dem Mitleid und Elend ansammeln, wie kleine Bergspitzen türmen und doch wieder und wieder in den tiefen Gräben der Welt enden, wollte er keinen dieser Berge mehr sehen, oder es sogar wagen, einen dieser zu besteigen, genau so nicht in die Täler fallen. Er wollte sich retten lassen, vom Lichtschein, der weit vom Auf und Ab lag. Das Licht, das hell und klar, das Wesen der Menschheit, der Tiere und Natur ist. Zumindest hoffte seine Seele auf das Licht, doch auf eine dantische Rettung von Beatrice wollte er nicht warten, konnte nicht warten. Es musste jetzt sein.
Er schrie in das Schweigen der Macht und vergaß, dass er auf seine Fragen keine Antwort erhalten würde, sodass er in seiner Ungeduld und Hass sich selbst ins Gesicht schlug. Durch das kräftige Schlagen, wiederholt auf die Schläfe, konnte er den Brand nicht löschen, bis ihm in der Verzweiflung klar wurde, wie sehr er die Ungerechtigkeit der Welt in sich trägt. Er wollte unschuldig sein. Geboren, um zu leben. Geboren der Freiheit wegen, der jegliche Bedingtheit von Schuld widersprüchlich entgegensteht. Doch musste er mit den heiß glühenden Schläfen in der November-Vollmond-Nacht resignieren und gestehen, 'Ich trage das.' Was das genau war, verstand er erst später. Doch für den Moment genügte der transzendentale Moment, der Gottes-Frage ohne Antwort, dessen Ruf nach Gerechtigkeit unbeantwortet blieb und ausgehalten werden muss. Nur das. Aushalten.
Vorsichtig wehte der Wind in den Raum zwischen Brillengestell und Wangen, es war Nacht, dunkel, und er stand allein auf einer Lichtung von bewirtschafteten Feldern, die von französischen Eichelbaum-Wald umrandet, bei Mondschein dem grauen Licht frei gegeben hätten, doch dank der unfruchtbaren Regenwolken nur ein graues Flimmern in der Tiefe der Nacht preisgaben. Es war November. Wie kam er hierher? Er wusste nicht, was ihn trieb, außer die Stunden in Freundschaft oder tiefer Einsamkeit. Der Weg zur Lichtung durch den schwarzen Wald, der dunkle Silhouetten an den Rand seiner Wahrnehmung malte, die astig und bei genauerem betrachten unheimliche Gestalten hervorbrachten, durchquerte er allein in der tiefen Dunkelheit mit einer kleinen Taschenlampe, die er nervös an und aus knipste. Um ihn herum roch die Nacht nach kalt-feuchtem Herbstgras, das bedeckt von orange-gelben Blättern ein leichtes Rauschen beim Laufen erzeugte. Als er die Lichtung erreichte, stand er einsam da. Es war circa 9 Uhr abends. Er schloss die Augen. Es war alles da. Wind. Nässe. Gras.
Sein Herz wollte in Einzelteile zerbrechen. Tränen lagen in seinen Augen. Nicht weil er allein war. Sondern weil er wusste, morgen würde er diesen Moment wieder vergessen haben. Plötzlich klang vom Bauernhof ein Radio Song über die Felder.
Stevie Wonder oder so etwas Ähnliches, das der Wehmut seiner Gefühle die Freude des Lebens ins Gesicht schlug. Er lächelte, war froh nicht am Leben teilzuhaben und als Fremder über die Ferne trotzdem dazu zu gehören.